Blogeinträge (Tag-sortiert)

Tag: Gedicht

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366 Tage - 366 Bilder ...







Ungetrübt die Ostervorfreude

schmuck der Hase am Fenster-

Verstecken und Finden

~*~

©  Anne Seltmann




 

 



Anne Seltmann 23.03.2016, 18.16 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Wollte nicht der Frühling kommen?




Wollte nicht der Frühling kommen?
War nicht schon die weiße Decke
von dem Rasenplatz genommen
gegenüber an der Ecke?
Nebenan die schwarze Linde
ließ sogar schon (sollt ich denken)
von besonntem Märzenwinde
kleine, grüne Knospen schwenken.
In die Herzen kam ein Hoffen,
in die Augen kam ein Flüstern –
und man ließ den Mantel offen,
und man blähte weit die Nüstern …

Ja, es waren schöne Tage.
Doch sie haben uns betrogen.
Frost und Sturm und Schnupfenplage
sind schon wieder eingezogen.
Zugeknöpft bis an den Kiefer
flieht der Mensch die Gottesfluren,
wo ein gelblichweißer, tiefer
Schnee versteckt die Frühlingsspuren.
Sturmwind pfeift um nackte Zweige,
und der Rasenplatz ist schlammig.
In mein Los ergeben neige
ich das Auge. Gottverdammich!


~*~

Erich Mühsam 


Anne Seltmann 09.03.2016, 08.28 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Einsiedlers Heiliger Abend



Grafic:© Anne Seltmann






Ich hab' in den Weihnachtstagen -
Ich weiß auch, warum -
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.

Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn da hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.

Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
Zu sparen, ihn abends noch spät
Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
Und anderem blanken Gerät.

Ich kochte zur heiligen Stunde
Mir Erbsensuppe mit Speck
Und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.

Und sang aus burgundernder Kehle
Das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
Alles das, was ich mied.

Es glimmte petroleumbetrunken
Später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken versunken.
Da hat's an die Türe gepocht,

Und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang's nicht wie Weihnachtslieder?
Ich aber rief nicht: "Herein!"

Ich zog mich aus und ging leise
Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.

~*~

Joachim Ringelnatz

Anne Seltmann 09.12.2015, 09.38 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Happy Monday




Über die Geduld

Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären…

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.

Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit…

Man muss Geduld haben

Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.

~*~


Rainer Maria Rilke


Anne Seltmann 26.10.2015, 06.27 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Das Meer...






Das Meer ist mein
wahlverwandtes Element,
und schon sein Anblick
ist mir heilsam.

~*~


  © Heinrich Heine


Anne Seltmann 05.06.2015, 09.07 | (4/2) Kommentare (RSS) | TB | PL

Liebe



Liebe ist wie ein Nährboden für noch mehr Liebe.
Umsorge sie und sie wird wachsen wie eine Pflanze.
Nur so potenziert sie sich.

~*~


© Anne Seltmann

Anne Seltmann 25.04.2015, 09.11 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Badewannenlyrik







Schwappendes Badewasser
nebliger Spiegel
Kleider am Boden
ein eilig abgestreiftes Hemd
Und während das Radio
Ravel spielte
wurden wir weicher


~*~


© Anne Seltmann


Anne Seltmann 06.02.2015, 09.43 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Die Legende vom Tannenbaum





In der Bergpredigt, wie bei Matthäus zu lesen,
ist auch von Bäumen die Rede gewesen.
Der Heiland hatte gesagt, dass Feigen
nicht reifen könnten auf Distelzweigen,
dass Trauben nicht wüchsen am Dornenhange,
und dass der Baum, der nicht Früchte trage,
zu gar nichts wert erscheine auf Erden,
als abgehau'n und verbrannt zu werden.

Und als er geendet, da ist schon bald
ein Streiten entstanden im nahen Wald.
Die Disteln, welche die Rede gehört,
waren über die Maßen empört
und haben so recht überlegen gesagt:
"Wir haben noch immer den Eseln behagt!"
Die Dornen reckten die scharfen Spitzen
und sagten: "Das lassen wir nicht auf uns sitzen!"
Die gelben, aufgedunsenen Feigen
zeigten ein blasses blasiertes Schweigen,
und die Trauben blähten sich gar nicht schlecht
und knarrten geschwollen: "So ist es recht!"

Nur ein zierlicher Tannenbaum
stand verschüchtert, rührte sich kaum,
horchte nicht auf das Rühmen und Klagen,
hat sich still und bescheiden betragen
und dachte und dachte in einem fort
an des Heilandes richtende Wort'.
Er fühlte sich ganz besonders getroffen;
er hatte kein Recht, auf Gnade zu hoffen;
die erste Art musste ihn zerschlagen;
er wusste nur Tannenzapfen zu tragen;
Früchte hatte er nie gebracht,
das hat ihn niedergeschlagen gemacht.
Als sich nun aber die Sonne versteckt
und tiefes Dunkel die Erde deckt,
und, ermüdet vom Reden und Klagen,
die anderen Bäume im Schlummer lagen,
wollte er nichts von Schlummer wissen,
hat die Wurzeln aus dem Erdreich gerissen,
und unbemerkt in stiller Nacht
hat er sich still auf den Weg gemacht,
um nach dem strengen Heiland zu gehen
und milderes Urteil sich zu erflehen.

Und als er nach mühseligen Stunden
endlich den lang Gesuchten gefunden
und ihm sein Leid recht herzlich geklagt,
da hat der Heiland lächelnd gesagt:
"Wisse, dass seit Beginn der Welt
ein jeglicher Fluch seinen Segen enthält,
und dass in jeglichem Segensspruch
verborgen liegt ein heimlicher Fluch!
Den Feigen brachte nur Fluch mein Segen,
weil sie jetzt sündigen Hochmut hegen;
die Trauben haben mir nicht gedankt,
die haben sich nur mit den Dornen gezankt;
die Disteln ließen sich nicht belehren,
die konnten den Fluch nicht zum Segen kehren;
du aber hast dich besser bedacht!
Du hast aus dem Fluch einen Segen gemacht!
Und dein Bittgang sei nicht umsonst gewagt!
Zwar - was gesagt ist, da bleibt gesagt!
Dein Schicksal ist jetzt nicht mehr zu trennen
vom Abhau'n und im-Ofen-verbrennen;
aber: Ich will dich erheben und ehren,
ich will einen rühmlichen Tod dir bescheren!
Dich soll kein Winterschlaf traurig umschließen!
Ein doppeltes Leben sollst du genießen!
Und auf deinen zierlichen Zweigen
sollen die herrlichsten Früchte sich zeigen,
soll man Lichter und Zierrat schau'n!
Freilich - erst wenn du abgehau'n!
Sei wie ein Held, der für andere leidet,
der in blühender Jugend strahlend verscheidet!
Damit dein Leben, das kurz, doch reiche,
meinem irdischen Wandel gleiche!
Du sollst ein Bote des Friedens sein!
Du sollst glänzen wie ein Heiligenschein!
Den Kindern sollst du Freude verkünden!
Den Sündern wecken aus seinen Sünden!
Gesang und Jubel soll dich umtönen!
Mein liebstes Fest sollst du lieblich verschönen!
So bist du von allen Bäumen hienieden
der gesegnetste! - Zieh hin in Frieden!"


~*~



Friedrich Wilhelm Güll 

(1812-1879)


Anne Seltmann 25.12.2014, 19.32 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Manchmal...



hand mit feder
Foto © Anne Seltmann







Manchmal
muss man  tief durchatmen,
verharren, innehalten-
auch im Stillstand spielt das tiefe Leben.

~*~


© Anne Seltmann



Anne Seltmann 11.11.2014, 10.24 | (2/1) Kommentare (RSS) | TB | PL

Vom Hahn






Ich wünscht ich wär ein Gockelhahn,
Dann säß ich auf dem Zaune,
Und krähte meine Hühner an,
in aller bester Laune

Ich wünscht ich wär ein Kirchturmhahn,
dann säß ich auf dem Turme
Schaut’ mir die Welt von oben an
und drehte mich im Sturme

Und wenn ich gar ein Fasshahn wär,
und wär das Faß am laufen
würd’ ich ganz und schrecklich sehr
mich tag und nacht besaufen


~*~


Heinrich Seidel



Anne Seltmann 03.05.2013, 10.35 | (0/0) Kommentare | TB | PL