Tag:


Sie sitzen da,
wie wartende Geschichten
aus Korb und Küste geflochten,
mit Lehne, die den Wind kennt
und Polster, die das Salz schmecken.
Sie wissen vom ersten Sonnenstrahl,
vom heimlichen Nickerchen im Halbschatten,
von Kinderlachen, das in ihren Seitentaschen klebt
und von Gesprächen,
die leiser wurden als das Meer.
Wenn der Abend kommt,
ziehen sie sich das Dach tiefer ins Gesicht
und lauschen dem Sand,
wie er die Zeit
zwischen ihren Füßen weiterträgt.
~*~
© Anne Seltmann

Anne Seltmann 13.04.2025, 06.05 | (3/3) Kommentare (RSS) | TB | PL

Es war der Abend, an dem das Schachbrett nicht nur aus Holz und Figuren bestand, sondern plötzlich ein eigenes Bewusstsein entwickelte. Es begann leise, ein winziges Ruckeln unter der Oberfläche. Der König rieb sich seine Hände, als wüsste er, dass etwas Großes bevorstand.
"Schach?", fragte der andere Spieler, ein Mann mit einer Mütze, die viel zu groß für ihn war. Er beugte sich vor, als wolle er das Brett in den Griff bekommen. Doch es war zu spät. Die Felder begannen zu murmeln, und die Dame auf D1 erhob sich langsam und sagte: "Ihr glaubt, es sei ein gewöhnliches Spiel? Ihr täuscht euch."
Der Spieler, nennen wir ihn Arnold, starrte das Schachbrett an, als sei es das erste Mal, dass er es wirklich wahrnahm. "Was? Was redest du da, Dame?"
"Oh, du ahnst nicht, was du hier spielst", antwortete sie mit einem unheilvollen Lächeln. "Das hier ist kein gewöhnliches Schachspiel. Dieses Brett hat seine eigenen Regeln. Und das Spiel beginnt erst, wenn du beginnst zu verstehen."
Arnold fuhr sich durch die Haare und versuchte, sich auf den Verlauf des Spiels zu konzentrieren. Der König grinste ihm zu, was zugegeben etwas unheimlich war, und sagte: "Du hast dich sicher schon gefragt, warum ich so oft auf der Stelle trete, oder?"
"Ich dachte, du seist einfach schwach", murmelte Arnold und zog seine Dame vorsichtig, ohne den Blick vom König zu lassen.
"Schwach? Schwach, sagt er!", brüllte der König plötzlich. "Du hast noch nie gesehen, was ich kann! Schach ist ein Spiel der Psyche, und du bist viel zu beschäftigt mit deinen langweiligen Zügen."
Da hüpfte der Bauer auf B2 plötzlich von seinem Feld, sprang von einem Quadrat zum nächsten und landete auf D5, wo er sich in eine Springerin verwandelte. "Äh, Entschuldigung, aber ich wollte einfach mal ausprobieren, wie es ist, nicht immer als Bauer herumzurobben!"
Arnold starrte nur noch auf das Schachbrett, als plötzlich der Läufer auf C1 sich erhob, zu ihm über den Tisch sprang und sagte: "Hör zu, Arnold, du spielst gerade gegen ein völlig anderes Level von Schach! Hier geht es um intuitive Züge und Tanzbewegungen. Glaub mir, ich habe die besten Moves gesehen!"
Arnold versuchte verzweifelt, die Kontrolle zurückzugewinnen, aber das Schachbrett schien sich immer mehr von ihm zu lösen. Die Felder begannen zu kichern, die Figuren machten seltsame Tanzbewegungen, als wären sie plötzlich im Karneval.
"Was… was passiert hier?!" stammelte Arnold.
"Du hast es nie verstanden, oder?", fragte der König, der nun plötzlich ein kleines Tanzbein schwang. "Schach ist nicht nur ein Spiel. Es ist Theater. Es ist Kunst. Und du bist nur ein Statist in dieser grandiosen Inszenierung!"
Und so ging das Spiel weiter, bis Arnold völlig verwirrt in die Luft starrte. Plötzlich landete die Dame in seiner Hand und sagte mit einem Zwinkern: "Du hast es gewonnen… oder auch nicht. Aber es war auf jeden Fall ein spektakulärer Versuch."
Arnold konnte nicht mehr sagen, ob er gewonnen oder verloren hatte. Aber eines war sicher: Er würde nie wieder Schach ohne eine ordentliche Portion Fantasie spielen.
© Anne Seltmann
Anne Seltmann 12.04.2025, 08.27 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL


Am Samstag roch die Küche nach Seife und Dampf,
der Herd glühte leise, das Wasser schwappte schwer in die Zinkwanne.
Ein kleines Meer mitten im Alltag,
in dem die Woche von den Schultern glitt.
Die Mutter prüfte die Temperatur mit der Hand,
der erste durfte rein, das Wasser war klar wie ein Versprechen.
Der Letzte tauchte in Geschichten,
die schon vom Seifenschaum erzählt wurden.
Die Haare dufteten nach Kernseife,
die Haut nach Wärme und Geborgenheit.
Und wenn draußen der Abend sank,
wartete der Sonntag – mit frisch geföhnten Träumen.
~*~
© Anne Seltmann

Anne Seltmann 12.04.2025, 06.37 | (3/3) Kommentare (RSS) | TB | PL
Wenn du für einen Tag jemand anderes sein könntest, wer wärst du und warum?
Ich möchte heute poetisch auf diese Frage antworten
Ich wäre jemand, den ich nie ganz verstanden habe –
nur für einen Tag.
Nicht, um ihn zu beurteilen,
sondern um ihn zu fühlen.
Ich würde seine Schatten durchschreiten,
die Worte hören,
die er nie laut sagte.
Ich würde in seinem Licht stehen,
das er vor der Welt verbarg.
Ich würde mit seinen Augen sehen,
mit seinen Ängsten atmen,
mit seiner Hoffnung hoffen –
auch wenn sie still geworden ist.
Vielleicht beginnt echtes Verstehen
nicht im Reden,
sondern im stillen Gehen
auf einem fremden Weg.
Vielleicht beginnt Mitgefühl
genau dort,
wo wir unsere eigene Sicht
loslassen
– für einen Tag.
~*~
© Anne Seltmann
Anne Seltmann 11.04.2025, 16.20 | (2/2) Kommentare (RSS) | TB | PL


Gänseblumen
Sie wachsen dort,
wo niemand sie erwartet.
Zwischen Kies,
unter den Füßen der Gedanken,
unbeirrt.
Ein weißer Blick zum Himmel,
ein gelbes Flüstern aus der Mitte.
Sie kennt kein Groß,
kein Laut.
Nur das Dasein –
klar,
still,
leicht.
Manche nennen sie unscheinbar,
doch sie trägt den Sommer
auf der Zunge.
~*~
© Anne Seltmann



Anne Seltmann 11.04.2025, 07.27 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL

Jeden Freitag, pünktlich zum Morgengrauen, erwacht er aus seinem digitalen Schlummer: der Freitagsfisch! Niemand weiß genau, woher er kommt – aus den tiefsten Tiefen des Ozeans oder aus den geheimen Winkeln der KI? Doch eines ist sicher: Er hat eine Mission.
Mit geschwungenen Flossen und einem Funkeln in den Schuppen macht er sich bereit, die Netzwelt zu erobern. Ob schillernd in allen Regenbogenfarben, mit Hut und Brille oder als geheimnisvoller Tiefseebewohner – er ist bereit, seine Fangemeinde zu verzaubern.
Manche sagen, er bringe Glück, andere behaupten, er sei nur ein Mythos. Doch diejenigen, die genau hinsehen, erkennen ihn sofort: den Fisch, der nur freitags erscheint und sich stillschweigend in die Welt der Bilder schleicht.
Und so fragt sich jeder: Wie wird er das nächste Mal aussehen?

Anne Seltmann 11.04.2025, 00.00 | (4/4) Kommentare (RSS) | TB | PL


Ich schreibe –
ein Wort,
noch eins –
es klingt,
verhallt,
verfliegt.
Die Zeile kippt,
der Sinn verrutscht,
ein Komma fällt
aus dem Gedanken.
Ich streiche durch,
lösche aus,
verwerfe,
was eben noch
wie Wahrheit schien.
Doch etwas bleibt –
ein Hauch,
ein Flimmern,
ein stiller Widerhall
im Weiß des Papiers.
Ich beginne neu,
nicht besser,
nicht schlechter –
nur ehrlicher.
Denn Schreiben ist
ein ständiges Verlassen,
ein Finden zwischen
Zeilen,
Zweifeln
und
Zwischentönen.
~*~
© Anne Seltmann

Anne Seltmann 10.04.2025, 10.11 | (0/0) Kommentare | TB | PL


Der Farn-
wie ein leises Flüstern aus vergangener Zeit.
Seine Blätter, kunstvoll gefiedert, entrollen sich mit der Geduld eines alten Liedes.
Er wächst im Halbschatten, wo das Licht gefiltert fällt –
nicht fordernd, nicht laut,
sondern voller stiller Präsenz.
Ein grüner Architekt der Stille,
der den Waldboden wie ein Geheimnis bedeckt.
Er braucht kein Aufsehen,
nur feuchte Erde und den Hauch des Morgens,
um sich in seiner ganzen Anmut zu zeigen.
Der Farn –
eine Pflanze wie ein Gedicht,
geschrieben in der Sprache der Schatten.
~*~
© Anne Seltmann


Die Art, wie sich der Farn langsam entrollt – Blatt für Blatt, Spirale um Spirale – ist zum Symbol für inneres Wachstum geworden. In der Maori-Kultur Neuseelands etwa steht der junge Farn (genannt koru) für Erneuerung, Harmonie und das sich ständig Entfaltende. Dieses Motiv findet sich auch in Kunst, Tattoos und Architektur wieder.
Weltweit gibt es etwa 10.000 bis 12.000 Farnarten – manche Quellen sprechen sogar von bis zu 15.000, je nachdem, wie fein die botanische Einteilung erfolgt. Damit gehören Farne zu den artenreichsten Pflanzengruppen, direkt nach den Blütenpflanzen. Sie kommen auf allen Kontinenten vor – von den Tropen bis zur Arktis – und wachsen in unterschiedlichsten Lebensräumen
Anne Seltmann 10.04.2025, 08.14 | (3/3) Kommentare (RSS) | TB | PL



Kaum hatte ich dem Osterhasen einen Möhrenvertrag angeboten, um meine Post zu sortieren, da purzelten sie auch schon aus dem Briefkasten – eure zauberhaften Osterkarten!
Was für eine herrliche Überraschung! Zwischen Alltagsgrau und Zeitungen blitzten eure liebevollen Grüße hervor wie bunte Ostereier im hohen Gras. Jede Karte war ein kleines Kunstwerk, ein Stück Frühling, ein Lächeln auf Papier – und hat mir richtig das Herz gewärmt.
Vielen, vielen Dank euch allen (Christa, Heidi, Rita in alphabetical order ) für die liebevolle Post und die schönen Gedanken, die ihr mir damit geschickt habt. Es ist wunderbar zu wissen, dass zwischen all dem digitalen Treiben echte Verbindung entstehen kann – und sei es durch Hasenohren, Tulpen und ein paar handgeschriebene Zeilen.
Mit dankbarem Herzen und frühlingshaften Grüßen
Anne
Anne Seltmann 09.04.2025, 15.50 | (3/3) Kommentare (RSS) | TB | PL