Tag:

Juri war ein kleiner Junge.
Er lebte mit seiner Familie in einem Haus am Rande der Wiesen.
Dort wehte der Wind so weich, als würde er streicheln wollen.
Eines Tages, als Juri allein draußen spielte, sah er etwas
Weißes im Gras.
Ein Schaf!
Es stand ganz still und schaute ihn an.
"Hallo", sagte Juri leise.
Das Schaf blinzelte.
Es schien nicht schüchtern, nur ein bisschen neugierig.
Juri ging näher.
Langsam, Schritt für Schritt.
Das Schaf blieb einfach stehen.
"Darf ich mich setzen?" fragte Juri.
Natürlich antwortete das Schaf nicht – aber es beugte sich ein kleines
bisschen,
als würde es nicken.
Vorsichtig kletterte Juri auf seinen Rücken.
Das Schaf war warm und weich und roch nach Sommer.
Es fühlte sich an wie ein Kissen aus Wolle und Wind.
Sie blieben einfach so.
Ein Junge.
Ein Schaf.
Und eine Wiese, die atmete.
Ab diesem Tag waren sie Freunde.
Juri kam jeden Morgen.
Manchmal brachte er ein Stück Apfel mit.
Oder ein Lied.
Das Schaf sagte nie etwas.
Aber es wartete immer schon.
Juri lernte, dass man nicht reden muss, um sich zu
verstehen.
Manchmal reicht es, einfach da zu sein.
Ganz ruhig.
Ganz echt.
Wie ein Schaf.
Wie ein Freund
Anne Seltmann 17.05.2025, 16.05 | (0/0) Kommentare | TB | PL


ich halte sie
nicht fest
nur so,
dass sie weiß: ich bin da
sie sieht durch
alles hindurch
mein atem still,
ihre bewegung ein zucken
gegen die welt
meine hand lernt
wie sich bleiben anfühlt
wenn man fliegen könnte
ich sage nichts
vielleicht
bleibt sie
~*~
© Anne Seltmann

Das Gedicht kann als Metapher gelesen werden für viele zwischenmenschliche Beziehungen oder für den Umgang mit etwas Kostbarem, das sich nicht einfangen lässt:
– ein Kind, das loslassen lernt
– ein geliebter Mensch, der gehen könnte
– ein kreativer Moment, der sich nicht erzwingen lässt
– Vertrauen, das nur wächst, wenn man nichts verlangt
Anne Seltmann 17.05.2025, 09.58 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Anne Seltmann 17.05.2025, 06.29 | (0/0) Kommentare | TB | PL


Anne Seltmann 17.05.2025, 00.00 | (2/2) Kommentare (RSS) | TB | PL
Welches Buch könntest du immer wieder lesen?

Ganz spontan fällt mir das Buch "*Steine auf dem Küchenbord" von *Astrid Lindgren ein. Obwohl ich natürlich noch andere Lieblinge habe!.
Es ist eines der leisen Bücher. Eines, das nicht ruft, sondern flüstert. Das nicht unterhält, sondern berührt.
Rezension:
"Steine auf dem Küchenbord" ist ein schmales Buch – und doch liegt darin ein ganzes Leben. Astrid Lindgren zeigt sich hier nicht als Geschichtenerzählerin im klassischen Sinne, sondern als Mensch, als Denkerin, als jemand, der zurückblickt, nachfühlt, sortiert.
Es ist ein Buch über Abschied und Erinnerung, über das Altwerden, über das, was war und bleibt. Die Texte – nachdenklich, manchmal traurig, oft zärtlich – zeigen eine andere Seite Lindgrens: die der Philosophin des Alltags.
Wie Steine auf einem Küchenbord liegen ihre Gedanken da, scheinbar zufällig – und doch voller Bedeutung. Man kann sie in die Hand nehmen, drehen, befühlen, und immer wieder etwas Neues darin entdecken.
Es ist ein Buch, das man nicht "durchliest", sondern mitnimmt – ins eigene Leben, in Tage, die nach innen führen. Und ja: Es ist ein Buch, das man immer wieder lesen kann. Weil es jedes Mal ein bisschen mit einem selbst mitwächst.
[* Namensnennung...unbeauftragt und unbezahlt!]
Anne Seltmann 16.05.2025, 10.56 | (2/2) Kommentare (RSS) | TB | PL


der goldfisch
träumt von flussläufen
aus porzellan
er kennt
nur den rand
als grenze
und spiegel

Anne Seltmann 16.05.2025, 05.46 | (3/2) Kommentare (RSS) | TB | PL


die anderen
reden von kirschblüten,
vom weichen anfang in rosa
aber ihr,
stehst da
mit euren feinen
zersetzten rändern,
schneidend schön
chrysanthemen
im frühjahr –
wer hat euch eingeladen
in diese jahreszeit?
oder habt ihr sie einfach geöffnet,
wie eine tür
so unpassend
dass es schon wieder
stimmt
die luft ist noch kühl
vom alten schnee
aber ihr
tragt eureblüten
wie ein widerspruch
wie ein flüstern
aus dem falschen kalender
es ist frühling
und ihr
besteht darauf
zu bleiben
~*~
© Anne Seltmann

Anne Seltmann 15.05.2025, 05.49 | (4/0) Kommentare (RSS) | TB | PL


Am Ufer
der fluss sagt nichts
und erzählt doch alles
was vergeht
hütten
ducken sich ins grün
als wollten sie
übersehen werden
der steg
ein satz ohne punkt
offen ins wasser geschrieben
auf der bank
der abdruck
von jemandem
der vielleicht du warst
~*~
© Anne Seltmann

Anne Seltmann 14.05.2025, 07.24 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL


Die Herrscherin
sie trägt die krone
wie ein versprechen,
nicht von gestern,
sondern von immerdar
der staubwedel
in der pfote
ein symbol der ordnung,
die sie schafft
mit einem blick
kein ton,
kein zeichen –
doch alles fügt sich
in ihre welt
~*~
© Anne Seltmann

Anne Seltmann 14.05.2025, 05.14 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL


sie steht
inmitten der blumen,
die sich nicht entscheiden müssen
ein drachen
zittert in ihrer hand
wie ein gedanke ans fortsein
die schnur –
nicht fessel,
nicht versicherung
vielleicht ist freiheit
nicht im loslassen
nicht im festhalten
sondern
im wissen,
dass beides möglich ist
~*~
© Anne Seltmann

Anne Seltmann 13.05.2025, 17.06 | (0/0) Kommentare | TB | PL