Tag: Sessel

Es ist nicht die Stille selbst, die schwer zu ertragen ist. Es ist das, was in ihr lebt. Dieses kaum hörbare Wispern, das aus allem zu kommen scheint – aus der Uhr, die unregelmäßig atmet, aus dem Holz, das sich dehnt und wieder zusammenzieht, als suchte es nach einer Erinnerung an Wärme. Selbst das Licht scheint nach etwas zu greifen, das ihm entglitten ist.
Man sitzt da, hört dem Haus zu und spürt, dass alles um einen herum genauso einsam ist wie man selbst. Der Tisch, der Stuhl, die Schatten, selbst die Luft, die sich kaum bewegt. Nur das ferne Rauschen der Welt dringt noch herein – Stimmen, Schritte, das Leben der anderen, gedämpft, wie aus einer anderen Zeit.
Einsamkeit ist nicht das Fehlen von Menschen. Sie ist das Bewusstsein, dass selbst Nähe manchmal keine Brücke schlagen kann, wenn im Inneren Schweigen herrscht. Und vielleicht ist das der Moment, in dem man lernt, dieser Stille zuzuhören – nicht, weil sie Trost spendet, sondern weil sie endlich ehrlich ist.
Anne Seltmann 10.10.2025, 07.44 | (4/3) Kommentare (RSS) | TB | PL

Im Wartezimmer der Proktologin sitzen, das ist irgendwie wie ein verrückter Club, in den niemand rein, aber alle irgendwann mal durchmüssen. Links neben mir ein Mann, der nervös die Zeitschrift * "Mein Garten"durchblättert – wahrscheinlich, weil sie das Einzige ist, was ihn gerade von den inneren Landschaften ablenkt, die gleich auf der Leinwand erscheinen werden. Rechts von mir eine Frau, die entschlossen an ihrem Wasser nuckelt, vermutlich das letzte Getränk vor dem "großen Auftritt".
Ein paar Blicke hin und her, ein verstohlenes Lächeln, das sagt: "Wir sitzen alle im selben Boot – oder besser: auf demselben kalten Stuhl." Die Tür geht auf, eine Sprechstundenhilfe ruft einen Namen auf. Der Mann legt seine Zeitschrift weg und erhebt sich heldenhaft, als würde er in eine Arena treten. Ein kleiner Applaus wäre jetzt eigentlich angebracht.
Anne Seltmann 05.11.2024, 05.31 | (3/3) Kommentare (RSS) | TB | PL