Tag: Friday


die blume vergeht
bevor ich sie halten kann
ein schmetterling
streift mich
wie erinnerung
nichts bleibt
als das rot
im verschwinden

Anne Seltmann 04.07.2025, 06.20 | (2/1) Kommentare (RSS) | TB | PL

Im kleinen Ort Plätscherlingen, wo der Briefträger auch das Wetter vorhersagt und die Nachbarn durch Zuckerdosen verbunden sind, war eines unumstößlich: Freitag ist Fischtag.
Niemand wusste mehr genau, warum. Es wurde einfach so überliefert – von Generation zu Generation, von Forelle zu Hering.
Frau Schmitz vom Eckhaus legte jeden Freitag ihre "Fisch-Ohrringe" an – silberne Sardinen mit Glitzersteinchen. Herr Blume mähte donnerstags den Rasen, damit er freitags frisch geduscht seinen Backfisch genießen konnte. Und selbst die Katze im Supermarkt – sie hieß übrigens "Dorschy" – bekam freitags Thunfisch, obwohl sie sonst nur auf Mettbrötchen bestand.
Doch dann geschah das Unglaubliche:
An einem Freitag servierte die neue Köchin in der Kantine der Grundschule Nudeln mit Tomatensoße.
Es herrschte Schock.
Die Kinder starrten die Teller an, als hätten sich Spaghetti selbständig gemacht.
Ein kleiner Junge namens Emil hob langsam die Hand und fragte fassungslos:
"Ist… ist der Fisch püriert?!"
Am nächsten Tag hing ein Schild am Eingang:
"Entschuldigung für die fischlose Verwirrung. Wir hatten einen Lieferengpass. Ab nächstem Freitag wieder Flosse mit Soße!"
Seitdem wurde das Ritual sogar erweitert.
Im Dorf gab es plötzlich:
– Fisch-Flashmobs beim Bäcker (mit Makrelen-Maracas)
– Goldfisch-Casting im Seniorenheim
– und eine Kunstausstellung mit dem Titel: "Fische, die träumen."
Ach ja – und Emil?
Der isst freitags immer noch Tomatensoße.
Aber nur, wenn sie "Hai-mlich" serviert wird.
© Anne Seltmann
Anne Seltmann 04.07.2025, 05.41 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL

Hasenglöckchen – ein leiser Gruß aus dem Schatten
Man muss schon genau hinsehen, um es zu entdecken – das Bastard-Hasenglöckchen. Kein lauter Frühblüher, kein Geltungsdrang. Stattdessen: Zartheit. Zurückhaltung. Eine stille Schönheit, die gern am Wegesrand steht oder unter alten Bäumen, dort, wo das Licht gefiltert auf den Waldboden fällt.
Die nickenden, glockenförmigen Blüten erinnern an kleine Gebete an den Wind. Als würden sie etwas sagen wollen, das nur der hören kann, der still genug ist. Das Bastard-Hasenglöckchen ist eine Zwischenform – entstanden aus dem wilden Spanischen Hasenglöckchen und unserem heimischen Blauen. In ihm schwingt beides mit: das Temperament des Südens und das feine Maß des Nordens.
Wer sich Zeit nimmt, dem begegnet mehr als eine Pflanze. Da ist plötzlich ein Bild aus Kindheitstagen. Vielleicht ein Frühlingsspaziergang mit einer warmen Hand in der eigenen. Ein Duft von Erde und Licht. Eine Ahnung von Geschichten, die früher am Waldrand erzählt wurden, leise genug, damit sie nicht davonfliegen.
Das Bastard-Hasenglöckchen will nichts. Es wartet nicht auf Applaus. Es schenkt sich – einfach so. Für einen Moment. Für einen Blick. Und wenn man sich abwendet, läutet es vielleicht noch einmal, ganz leise, hinterher.
Anne Seltmann 27.06.2025, 05.31 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Warum eigentlich Weißwein zum Fisch?
Ein kulinarischer Klischee-Klassiker, der uns allen so geläufig ist wie das Amen in der Küche: Zum Fisch trinkt man Weißwein. Punkt. Aber warum eigentlich? Wer hat das festgelegt? Und hat der Fisch da überhaupt mitgeredet?
Zugegeben, es steckt tatsächlich mehr dahinter als reines Traditionsgeplänkel. Weißwein, vor allem die frischen, säurebetonten Sorten, bringt das mit, was Fisch gerne hat: Leichtigkeit, Frische, Zurückhaltung. Kein schweres Rumsitzen im Magen, kein Tannin-Gewitter auf der Zunge. Stattdessen ein feiner, zitroniger Händedruck, der den Fisch nicht überlagert, sondern begleitet. Ein Tanzpartner, kein Rampensau-Solist.
Roter Wein? Der ist kräftiger, tanninreicher, manchmal sogar schwer wie ein dickes Sofa. Und so ein feines Zanderfilet kann darunter schon mal zerbröseln wie ein Butterkeks unter der Walze. Es geht also gar nicht um Snobismus, sondern um Balance. Um Harmonie auf dem Teller – und im Glas.
Natürlich gilt wie immer: Die Ausnahmen bestätigen die Regel. Ein gegrillter Thunfisch mit rauchiger Note? Der darf sich ruhig mal mit einem leichten Pinot Noir anfreunden. Und wer partout lieber Rot mag, sollte sich davon nicht abbringen lassen. Der Fisch schaut nicht beleidigt. Und der Wein ohnehin nicht.
Fazit: Weißwein zum Fisch – das ist wie ein Sommerwind an einem Küstentag. Dezent, frisch und genau richtig. Es sei denn, dein Gaumen ruft laut nach was anderem. Dann – bitte sehr. Hauptsache, es schmeckt.



20.06.2025, 05.59 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL


Mohnblumen, vielleicht
sie fallen
nicht einfach aus dem feld
sie lösen sich
aus windhaut
aus morgenrot
aus erinnerung
zwischen ihren blättern
zittert ein wort
das keiner sagt
ein roter versprecher
aus licht
manchmal
stehen sie da
wie offene briefe
ohne empfänger
an die stille gerichtet
und alles
was bleibt
wenn der sommer
sich zurückzieht
ist dieser hauch
aus farbe
und vergessen

13.06.2025, 10.44 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Sie kam ins Cafe, als wäre es das Normalste der Welt.
Mit durchsichtigen Gummistiefel.
Darin: Fische mit sehr schlechter Laune.
"Schon wieder Schokotorte", blubberte einer.
"Nie Algenstrudel," ein anderer.
Ein Gast flüsterte:
"Ich glaub, ihre Füße sind tropisch."
Ein anderer:
"Vielleicht sind das emotional gestützte Fußsohlen-Therapien?"
Die Frau stand einfach da, bestellte Tee mit Seetang und sagte nur:
"Meine Fische wollen auch mal was erleben."


Anne Seltmann 13.06.2025, 05.55 | (4/3) Kommentare (RSS) | TB | PL

Der Name Stiefmütterchen hat eine spannende und symbolträchtige Herkunft – er geht auf eine alte volkstümliche Deutung der Blüte zurück. Dabei steht das Aussehen der Blüte Pate für eine kleine "Familiengeschichte":
Die Blüte hat fünf Blütenblätter in zwei Farben und Größen. Man stellte sich vor:
Das große untere Blütenblatt ist die Stiefmutter – sie sitzt bequem auf zwei "Sesseln" (den beiden Kelchblättern darunter).
Die beiden mittleren seitlichen Blütenblätter sind die leiblichen Töchter der Stiefmutter – auch sie haben je einen "Sitz" (Kelchblatt).
Die beiden oberen, kleineren Blütenblätter sind die Stieftöchter – sie stehen und haben keinen Sitzplatz.
Die Pflanze wurde so zu einem Bild für Ungleichheit und Benachteiligung – typisch für das überlieferte Märchenmotiv der strengen Stiefmutter.
Anne Seltmann 06.06.2025, 06.10 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Anne Seltmann 06.06.2025, 05.49 | (0/0) Kommentare | TB | PL

Die Küchenschelle – schon ihr Name klingt wie ein zartes Läuten im Frühlingswind. Sie gehört zu den ersten, die sich mutig durch die noch kalte Erde schieben, wenn der Winter gerade erst seinen Mantel ablegt. Wie kleine pelzige Glöckchen recken sie sich der Sonne entgegen, als wollten sie sagen: "Hier bin ich – es wird wieder warm!"
Ihre Blüten sind etwas ganz Besonderes: weich wie Samt, in Tönen von Violett, manchmal auch Blau oder Weiß, schimmern sie wie aus einer anderen Welt. Die feinen Härchen auf Stängeln und Kelchblättern glitzern im Morgenlicht, als hätte der Frost sie mit winzigen Diamanten bestäubt. Und wenn der Wind durch sie fährt, neigen sie sich wie in einem höflichen Knicks – stolz und zugleich demütig.
Aber man sollte sich nicht täuschen lassen: So anmutig sie aussieht, so zäh ist sie. Die Küchenschelle wächst oft dort, wo der Boden karg ist, wo andere längst aufgegeben haben. Sie trotzt der Trockenheit, dem Wind, der Kälte – eine echte kleine Heldin der Wiesen.
Später, wenn die Blüte vorbei ist, verwandelt sie sich in eine fluffige Erscheinung, fast wie ein kleiner Stern aus Haaren. Dann flüstert sie ihre Samen in die Welt hinaus, im Vertrauen darauf, dass der nächste Frühling sie wieder hervorbringen wird.
Anne Seltmann 30.05.2025, 06.46 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Es war einmal ein Königreich, in dem nicht nur Bälle und Krönungen wichtig waren, sondern auch Recycling. Und genau dort lebte Aschenputtel – die längst keine Putzlappen mehr schwang, sondern sich mit dem königlichen Umweltamt verbündet hatte.
Nach dem berühmten Ball, bei dem sie ihren gläsernen Schuh verloren hatte und der Prinz sie auf diese Weise fand (eine etwas seltsame Methode des Kennenlernens, wenn man ehrlich ist), wurde Aschenputtel zur Königin – aber nicht irgendeiner. Sie wurde zur Königin der Nachhaltigkeit.
Eines Tages, beim Frühjahrsputz im Schloss, stolperte sie über den verbliebenen Glasschuh. Der andere war längst zerbrochen, weil der königliche Hund dachte, es sei ein besonders glitzerndes Kauspielzeug.
"Was mach ich denn jetzt mit nur einem Schuh?", murmelte Aschenputtel.
Wegwerfen? Niemals! Also setzte sie sich mit einem Becher
Minz-Tee an ihren Schreibtisch, kritzelte ein paar Skizzen, und plötzlich hatte
sie eine Eingebung:
Ein Designer-Aquarium!
Noch am selben Tag ließ sie den Schuh fachgerecht mit Wasser befüllen, einen Miniaturfilter einsetzen und kleine Goldfische hineinsetzen. Die royalen Gäste waren begeistert. Der Prinz hingegen war leicht irritiert. "Du schwimmst jetzt mit Goldfischen im Schuh durch den Palast?"
"Nicht ich – aber der Schuh! Der ist jetzt Kunst", erklärte Aschenputtel mit königlicher Miene.
Der Glasschuh stand fortan auf einem Ehrenplatz im Schlossgarten – direkt neben dem solarbetriebenen Kürbiskompost.
Kinder kamen aus allen Teilen des Reiches, um "Aschenputtels Fischschuh" zu sehen. Manche behaupteten sogar, die Fische könnten tanzen, wenn man Walzermusik spielte.
Und wenn sie nicht gestorben sind, schwimmen sie noch heute im ökologisch geprüften Cinderella-Aquarium – stilvoll, royal und absolut nachhaltig.
Anne Seltmann 30.05.2025, 00.00 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL