Tag: Geschichten

Gräfin Aurelia von Sturmfeder stand in ihrem rubinroten Regenmantel und mit sorgfältig geschnürten Gummistiefeln vor dem Leuchtturm, als hätte sie dort ein wichtiges Rendezvous. Der Wind zupfte an ihrem Strohhut, die Tropfen tanzten über das Deck der hölzernen Mole, und das Meer schickte seine schäumenden Grüße bis an ihre Füße.
"Endlich Urlaub", murmelte sie und zog die Jacke enger. Für andere Adelige bedeutete Urlaub glänzende Bälle, festliche Tafeln und zu viel Konversation. Für Aurelia aber war es das Meer, der Regen und das Rauschen der Wellen, das ihr Herz leicht machte.
Sie hatte beschlossen, ihre Ferien dort zu verbringen, wo der Wind Geschichten erzählte. Jeden Morgen spazierte sie zum Leuchtturm, als sei er ein alter Freund, und lauschte seinem Knarzen im Sturm. Die Fischer grüßten sie schmunzelnd und nannten sie "die vornehme Dame mit den großen Augen". Doch Aurelia kümmerte sich nicht um Etiketten – sie fühlte sich frei, wenn das Salz in der Luft hing und die Tropfen wie Diamanten auf ihrem Mantel glitzerten.
An diesem Tag blieb sie besonders lange stehen. Irgendwo zwischen Regenschauer und Möwengeschrei dachte sie: Vielleicht ist Urlaub genau das – nicht ankommen zu müssen, sondern einfach dazustehen und den Himmel seine Musik spielen zu lassen.
Und der Leuchtturm, hoch und schweigend, nickte ihr zu, als verstünde er genau, was sie meinte.
© Anne Seltmann
Anne Seltmann 28.09.2025, 14.45 | (2/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Die Katze hatte beschlossen, dass heute ihr großer Auftritt war. Mit einem eleganten Satz sprang sie auf den Fahrersitz des geparkten Autos. Ihre Pfoten legte sie souverän auf das Lenkrad, als hätte sie schon seit Jahren einen Führerschein. Doch das Beste war ihre Sonnenbrille – groß, rund, und ein bisschen zu breit für das kleine Gesicht. Sie rückte sie mit der Pfote zurecht, neigte den Kopf leicht nach hinten und sah durch die getönten Gläser nach draußen. "Miau, Leute", schien sie zu sagen, "wer braucht schon Fahrerlaubnis, wenn man Stil hat?"
Sie lehnte sich zurück, ließ den Schwanz über das Lenkrad hängen, die
Sonnenbrille perfekt auf der Nase, und betrachtete die Welt durch die Gläser
wie eine echte Diva. Die Hunde am Zaun konnten nur staunen, und irgendwo in der
Ferne begann die Sonne genau im richtigen Winkel zu glitzern. Coolness pur –
und sie wusste, dass sie jeden Moment genießen würde.

Anne Seltmann 27.08.2025, 00.00 | (3/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Anne Seltmann 06.08.2025, 06.58 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Katzen und Ordnung / Unordnung
Kätzin Ella hatte ein seltsames Hobby: Sie sortierte Dinge. Haarspangen in die
rechte Ecke des Teppichs, Spielzeugmäuse auf das Sofa, Wollreste in die
Badewanne. Jeden Tag aufs Neue. Wurde ein Gegenstand versetzt, holte sie ihn
zurück. Sogar die Fernbedienung hatte ihren festen Platz. Als einmal Besuch kam
und den Teppich durcheinanderbrachte, fauchte Ella – und räumte alles neu ein.
Anne Seltmann 16.07.2025, 09.20 | (4/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Diese Geschichte hat sich tatsächlich so zugetragen::
Ein Kätzcehn namens Marmalade war eine verspielte Wohnungskatze. Eines Tages entdeckte sie, dass ihre Halterin morgens immer durch denselben Flur ins Bad ging. Dort versteckte sich Marmalade hinter einer großen Zimmerpflanze – reglos, mit nur der Schwanzspitze zitternd. Sobald ihre Halterin vorbeiging, sprang Marmalade wie ein Pfeil hervor, um sie "zu erschrecken". Das Spiel wiederholte sich täglich.
Doch eines Morgens war die Halterin früher aufgestanden – Marmalade hatte sich noch nicht versteckt. Als sie die Wohnung betrat, rannte Marmalade mit empörtem Maunzen auf ihren Platz hinter die Pflanze, als wolle sie sagen: "Du bist zu früh – das war nicht der Plan!" 
Anne Seltmann 18.06.2025, 04.27 | (3/0) Kommentare (RSS) | TB | PL

Die Katze, die den Bus nahm
In der englischen Stadt Plymouth wurde jahrelang eine schwarz-weiße Katze namens Casper beobachtet, die jeden Morgen scheinbar ganz selbstverständlich den Linienbus nahm.
Casper wartete brav an der Bushaltestelle vor seinem Wohnhaus, stieg ein, setzte sich auf einen Sitz – meist in der Nähe des Fahrers – und fuhr mit, als sei es das Normalste der Welt. Die Busfahrer kannten ihn gut und ließen ihn gewähren. Casper stieg nie an Zwischenstationen aus, sondern fuhr die ganze Route mit und kehrte nach etwa einer Stunde wieder nach Hause zurück. Fahrgäste freuten sich über den tierischen Pendler und grüßten ihn wie ein kleines Stadtoriginal.
Seine Besitzerin, Susan Finden, sagte später, Casper sei schon immer neugierig gewesen und habe sich nie lange zu Hause aufhalten wollen. Sie nannte ihn liebevoll ihren kleinen "Weltenbummler".
Nach Caspers Tod (leider wurde er 2009 von einem Auto erfasst) veröffentlichte Susan sogar ein Buch über ihn: "Casper the Commuting Cat", das in viele Sprachen übersetzt wurde.
Anne Seltmann 21.05.2025, 05.47 | (3/3) Kommentare (RSS) | TB | PL