Tag: Rilke
Mein Leben ist wie leise See
Mein Leben ist wie leise See:
Wohnt in den Uferhäusern das Weh,
wagt sich nicht aus den Höfen.
Nur manchmal zittert ein Nahn und Fliehn:
Aufgestörte Wünsche ziehn
Darüber wie silberne Möwen.
Und dann ist alles wieder still. . .
Und weißt du was mein Leben will,
hast du es schon verstanden?
Wie eine Welle im Morgenmeer
Will es, rauschend und muschelschwer,
An deiner Seele landen.
~*~
Rainer Maria Rilke
aus: Dir zur Feier, 1897/98
Anne Seltmann 06.03.2024, 12.02 | (4/1) Kommentare (RSS) | TB | PL
Ich liebe diese Stunde, die anders ist, kommt und geht.
Nein, nicht die Stunde, diesen Augenblick liebe ich, der so still ist.
Diesen Anfangs-Augenblick, diese Initiale der Stille, diesen ersten Stern, diesen Anfang.
Dieses Etwas in mir, das aufsteht, wie junge Mädchen aufstehen in ihrer weißen Mansarde...
Diese Nacht liebe ich. Nein, nicht diese Nacht, diesen Nachtanfang, diese eine lange Anfangszeile der Nacht,
die ich nicht lesen werde, weil sie kein Buch für Anfänger ist.
Diesen Augenblick liebe ich, der nun vorüber ist und von dem ich, da er verging, fühlte, dass er erst sein wird.
Anne Seltmann 04.02.2024, 06.13 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Ich glaube an das Alter,
lieber Freund,
Arbeiten und Altwerden,
das ist es, was das Leben
von uns erwartet.
Und dann eines Tages alt
sein und noch lange nicht
alles verstehen, nein, aber
anfangen, aber lieben, aber
ahnen, aber zusammenhängen
mit Fernem und Unsagbarem,
bis in die Sterne hinein.
~*~
Rainer Maria Rilke
Anne Seltmann 03.02.2024, 15.01 | (2/2) Kommentare (RSS) | TB | PL
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still.
Du mein tieftiefes Leben;
Daß du weißt, was der Wind dir will.
Eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
Laß deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gib dich, gib nach,
Er wird dich lieben und wiegen.
Und dann, meine Seele, sei weit, sei weit.
Dass dir das Leben gelinge,
Breite dich wie ein Feierkleid
Über die sinnenden Dinge.
~*~
Rainer Maria Rilke
Anne Seltmann 04.01.2024, 15.37 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Heute ist die 365 Tage Challenge "Jeden Tag ein Bild" von Bernhard zu Ende. Ein letztes Bild von einem Blumentopf mit Kleeblatt. Ein bisschen habe ich an dem Bild gespielt und die anderen Kleeblätter weg gepixelt.
Eine Liste der Teilnehmer, die sich für die Challenge angemeldet hatten, findet ihr >> HIER <<. Nicht alle haben durchgehalten, selbst der Initiator hat leider aufgegeben
Möge das neue Jahr euch mit Zufriedenheit, Gesundheit und grenzenloser Freude erfüllen.
Möge es euch inspirieren, herausfordern und euch unendliche Momente des Glücks schenken.
Kommt gut ins neue Jahr!!!
Anne Seltmann 31.12.2023, 09.40 | (7/4) Kommentare (RSS) | TB | PL
Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er leer war, –
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.
Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die glänzenden Knospen der Reiser.
~*~
Rainer Maria Rilke
[Das Buch der Bilder]
Anne Seltmann 29.12.2023, 09.14 | (2/0) Kommentare (RSS) | TB | PL
Wer Vertrauen hat, ist stark,
und diese stille Weihnachtsstunde
ist von denen, die Kraft verleihen
können, weil sie voll Wunder
sind und voll Geheimnis.
Und man muss nur still und
einsam und geduldig genug sein,
um die Gnade einer solchen Stunde
in sich aufzunehmen, die in viele
nicht eingeht, weil kleines
Geräusch in ihnen ist und keine
Ordnung.
~*~
Rainer Maria Rilke,
Brief an die Mutter,
20. Dezember 1903
Anne Seltmann 21.12.2023, 11.15 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL
Anne Seltmann 18.12.2023, 08.28 | (2/1) Kommentare (RSS) | TB | PL
Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.
Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt in lichten Lohgewittern, –
und draußen wächst im Flockenflittern
der weiße Tag zur Ewigkeit.
Anne Seltmann 17.12.2023, 07.28 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust : und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt;
und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel, wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt -
und lasssen dir ( unsäglich zu entwirrn )
dein Leben bang und riesenhaft und reifend,
so dass es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.
~*~
Rainer Maria Rilke
Anne Seltmann 15.12.2023, 15.53 | (4/2) Kommentare (RSS) | TB | PL