Thema: AutorenPerlen
Ein alter Mann geht durch die Straßen, das Gesicht so nass vom schmelzend Schnee.Reinhard Blohm - Brettin
Sein Blick dringt durch die bunten Scheiben, ach’ wie schamhaft, zögernd,
steht dort das blutjunge Paar, “Großeltern sollt ihr im Balde werden,
Vater, Mutter, eure Hände, wir es erbitten, reicht sie uns nun dar!
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Das Verstehen, oh’ göttlich Gabe, zieht in ihren Herzen ein.
Er sieht die Mutter dort am Herde, vom lockend Bratenduft umhüllt.
Am Rock gedrängt von ihren Kindern Kleinen, so steht sie im Abendlicht;
Ach wie oft war nur der Kummer, der Sorge Schweiß in ihrer Börse,
doch die lachend, samtig dunklen Kinderaugen gibt neue Zuversicht!
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Kinderaugen fragen: Kommt es nun - das Christkindlein?
Der alte Mann blickt durch die weiten Straßen, unzählig Lichter
dort im Häusermeer. Lichter sie erzählen von des Menschen
Freud und Leid; von ihrer Liebe, vom steten Kampf berichten -
und auch von so vieler Seelen trostloser, tiefer Einsamkeit!
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Stiller Friede, ein Strom der Liebe zieht in ihren Herzen ein.
Er hält jetzt mit müden Füßen, vor ein schmuckes Haus mit großem Tor.
Es steht dort ein neuer glänzend Wagen, kraftvoll, schick im Dekor;
Und so viel Stolz und Freude liegen auf des jungen Paares Angesicht;
Er jetzt verstehend lächelt, erfüllte Wünsche - warum denn auch nicht !
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Hoffnung, und Aller Freude zieht in ihren Herzen ein.
Der alte Mann geht durch die Straßen, wie schwer von fallend Sternen
ist jetzt sein langer roter Rock. “Dort am Haus will ich verweilen,
mich erfreuen an der Türe Kranzeschmuck”. Wie laut sie sich öffnet,
“Wie närrisch”, seine Frau so scheltend, “bist du endlich nun zurück !”
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
“Heilig Nacht” ihr alle höret - die Glocken läuten sie jetzt ein!
Anne Seltmann 03.12.2008, 07.31 | (2/0) Kommentare (RSS) | TB | PL
Anne Seltmann 26.10.2008, 15.05 | (2/0) Kommentare (RSS) | TB | PL
Der Herbst
Viele Drachen stehen in dem Winde,
Tanzend in der weiten Lüfte Reich.
Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern,
Sommersprossig und mit Stirnen bleich.
In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln
Kleine Schiffe, weiß und leicht erbaut;
Und in Träumen seiner leichten Weite
Sinkt der Himmel wolkenüberblaut.
Weit gerückt in unbewegter Ruhe
Steht der Wald wie eine rote Stadt.
Und des Herbstes goldne Flaggen hängen
Von den höchsten Türmen schwer und matt.
Georg Heym (1887-1912)
Anne Seltmann 22.10.2008, 08.50 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.
Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!
Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.
Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.
Und es leuchten Wald und Heide,
Dass man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg´ ein ferner Frühlingstag.
~*~
Anne Seltmann 12.10.2008, 09.28 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL
Ein dichter dichtet, weil er muß,
gleichviel, ob’s andern ein genuß.
Wenn regen durch die decke rinnt
liegt er auf seinem bett und sinnt
den tropfen nach, die perlengleich
hinflitzen durch sein dichterreich.
Und wenn ihr ächzt, weil euch sein lied
befremdlich durch die därme zieht,
sag ich: umsonst ist der verdruß:
ein dichter dichtet, weil er muß!
Ein dichter dichtet, weil er muß,
reimt haus mit maus und schuß mit nuß.
Auch wenn sein versschlag nicht so sehr
gedrillt ist wie beim militär
und was darin sich hebt und senkt
sich ein-, manchmal aber auch ausrenkt,
und wenn es euch verworren dünkt:
wenn nur sein kummerstern ihm blinkt!
Ob musenkuß, alraunenkuß:
ein dichter dichtet, weil er muß!
Ein dichter dichtet, weil er muß,
gleichviel ob sich sein pegasus
gefährlich in die kurven legt:
wenn er nur seinen reiter trägt!
Gleichviel, ob seine reime schön
gestutzt in samt und seide gehn
und ob sie rein sind oder nicht:
das unwägbare hat gewicht!
Das ist der versheit letzter schluß:
ein dichter dichtet, weil er muß!
~*~
© Otto Haubner
(Aus dem Buch: “Rückläufige Stunden”)
Anne Seltmann 04.10.2008, 11.09 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Anne Seltmann 03.10.2008, 11.34 | (2/2) Kommentare (RSS) | TB | PL
Anne Seltmann 13.09.2008, 19.04 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Anne Seltmann 30.08.2008, 09.11 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL